Eiertanz, Eminenz?
Rezension: 6. August 2012
Der Erzbischof von Dijon schrieb ein gutes Buch zur Sozialethik. Gut ist es, weil anstößig.
Erzbischof Minnerath bedient sich einer hinreichend allgemein gehaltenen Begrifflichkeit, um in die
unterschiedlichen kulturellen Zusammenhänge übertragbar zu sein. Um das soziale Denken im
Katholizismus" offen in einen konstruktiven Dialog mit Menschen anderer Kulturen und Religionen
einzubringen, verzichtet der Autor bewusst auf Bibelzitate oder Fußnotenverweise zu lehramtlichen
Erklärungen.
Seine Argumentation ist über weite Strecken und in vielen Themen fundiert und folgerichtig. Die aus den
Schlüssen erwachsenden ethischen Anforderungen sind einsichtig und nachvollziehbar dargestellt. Umso
erstaunlicher und für mich als Christ umso ärgerlicher sein Eiertanz, wo es um die sittlich akzeptable
Organisationen des Wirtschaftens geht.
Beschreibt er noch klar und präzise die Prämissen christlicher Ethik zu Arbeit und Eigentum
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Vorrang der Arbeit als gestaltendes menschliches Tun vor den instrumentellen Unterstützungsleistungen
dieses Tuns wie Produktionsmittel, Geld, Technik.
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Bejahung des Eigentumsrechtes an den Produktionsmitteln für den arbeitenden Menschen
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Nutzungsrecht aller Menschen an den Gaben der Schöpfung und der Fülle geleisteter Produktionen an
Waren und Diensten
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gerechter Tausch im wirtschaftlichen Handel
so enthält sich der Autor leider der folgerichtigen Schlüsse:
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Begrenzung des Eigentumsrechtes an Produktionsmitteln auf das zur eigenen Arbeitsleistung
notwendige Maß, damit keinem Mitmenschen sein Eigentumsrecht beschnitten wird
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kein Eigentumsrecht zur profitablen Bewirtschaftung besitzloser Mitmenschen
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volle Zurechnung des Werkgutes und des Mehrwertes den das Werkgut erarbeitenden Menschen
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kein Einkommen allein aus Besitz oder Bereitstellung instrumentaler Leistungen, sondern allein aus
geleisteter Arbeit.
Zu den Themenfeldern Familie, Zivilgesellschaft oder Friedenspolitik argumentiert Minnerath schlüssig und
verständig, so dass auch Nicht-Glaubende vernunftorientiert am Dialog teilhaben können. Warum der Autor
ausgerechnet im Kapitel "Wirtschaftsleben" die sonst stringente Argumentation verlässt, wird dem Leser
nicht erkennbar.
Gerade die Trennung von Arbeit und dem Eigentum an Arbeitsmitteln verdammt die Mehrheit der Menschen
dazu, sich zur Existenzsicherung bei Arbeitsmittelbesitzern zu verdingen und sich ihrer Macht auszuliefern.
Die Ideologie des Profitvorbehaltes für das Kapital und das ihr folgende Eigentumsrecht begründen
Proletarisierung, Lohnsklaverei oder in neuer Sprachschöpfung: das Prekariat.
Eine als Sozialpolitik" getarnte Bewirtschaftung besitzloser Menschen soll mittels Arbeits- und Tarifrecht die
Auswüchse dieser Grundsituation entschärfen. Treu der kirchenamtlichen Doktrin verbleibt Erzbischof
Minnerath in der Mißständekritik bei gleichzeitigem Tabu der Ursachen.
Wollte er auch hier "das soziale Denken im Katholizismus" darstellen, hätte er den innerkirchlichen Konflikt
um die Bewertung des Kapitalismus beschreiben müssen.
Dabei aber wäre er um eine Kritik der lehramtlichen Kapitalismusdoktrin nicht herum gekommen. Deren "Ja"
zum Profitvorbehalt des Kapitals ist nicht mit den im Buch aufgezeigten ethischen Prämissen in Einklang zu
bringen.
Verständlich wird die Zurückhaltung des Erzbischofs vor dem Schicksal jener Professoren und Amtsbrüder,
die diese Zurückhaltung nicht übten. Sie orientierten sich an den Lehrendes heiligen Thomas von Aquin zu
Arbeitswert und Tauschgerechtigkeit. Lehrverbote und Amtsenthebung waren ihr Preis.
Weicht Erzbischof Minnerath diesem Konflikt auch aus, so gibt er doch Anstöße zur Diskussion und lädt zum
Dialog ein.
Nehmen wir also die Einladung an und den Not wendenden Dialog auf.
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