Revolution aus Geist und Liebe Johannes Heinrichs
Taschenbuch: 597 Seiten
Verlag: Steno Verlag (5. April 2010)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 9544493166
ISBN-13: 978-9544493165
Briefe ins Heute
Rezension vom 17. April 2012
Alt ist er geworden, Hyperion, der "Eremit in Griechenland". Nun  reflektiert  er sein Leben in  Briefen an seinen deutschen Freund  Bellarmin.
1797, mit 26 Jahren schafft der Theologe, Philosoph und Dichter  Friedrich Hölderlins einen  Roman voll poetischer Sprachgewalt, reichen  Analogien und seherischen Bilderwelten, die die  Begrifflichkeiten der  aufklärerischen Philosophie seiner Zeit sprengen und überschreiten.  Schon  seine Zeitgenossen taten sich mit Hölderlins Briefroman  "Hyperion" schwer.
Wieviel schwerer fällt es uns heute, dieses Werk Hölderlins zu begreifen?   Sprachstil,  Bilderwelten und zeitgenössischer Horizont des  ausgehenden  18. Jahrhunderts sind uns heute  nicht mehr so einfach  zugänglich.  Wenige Hölderlin-Forscher mühen sich mit dem Werk ab.  Philologen  konzentrieren sich vornehmlich auf die spätere Lyrik des  Tübinger  Romantikers.
Hölderlin? War das nicht dieser geistig erkrankte Romantiker, der so  lange in einem Turm in  Tübingen lebte, dass man diesen seither nach  ihm benannte.
Hätte ich als Jugendlicher den Weg eines deutschen Gymnasiasten mit  klassischer Bildung und  Abitur eingeschlagen, wären mir vielleicht ein  paar Assoziationen mehr eingefangen. So  dümpelte Hölderlin in meinem   Erfahrungsschatz irgendwo zwischen Holland, Holstein und  Holunder -  bis  Johannes Heinrichs einen Zugang in die Denk- und Bilderwelt dieses   Mannes  schuf, den ich nun mehr als einen der Großen der deutschen  Klassiker erfahren darf.
Den Hyperion aus Studierstuben und staubigen Bucharchiven nun in den  gesellschaftlichen  Dialog einzubringen, bedarf es jener Fähigkeiten, die  auch Restauratoren alter Künste  auszeichnen. Der Philosoph Prof.  Johannes Heinrichs erbringt diese Qualitäten, da er zugleich  Sprachwissenschaftler und Literat ist.
Vermittelt Heinrichs in seinen Büchern oft den Eindruck, der Leser solle  sich zuvor durch ein  eigenes Philosophiestudium rüsten, so schreibt der  Autor jetzt ausgesprochen gastfreundlich.  Heinrichs nimmt auch den nicht   wissenschaftlichen Leser bei der Hand und bereitet ihn in der 66-  seitigen Einführung zielgerichtet und verständlich auf das eigentliche  Werk vor.
Das eigentliche Werke im Doppelsinn:
* Hölderlins Briefroman "Hyperion", bestehend aus 64 Briefen, aufgeteilt  in vier Büchern,  erschienen im zweiten Teilbänden ( Bd 1 Ostern 1797,  Bd 2 Herbst 1799)
* Heinrichs den Text begleitender Kommentar als Brückenschlag in  unsere Zeit.
In zwei einführenden Kapiteln skizziert Heinrichs seine viergliedrige  Reflektionslogik und deren  Anwendung auf Sprach - und  Handlungstheorie.
Zudem beleuchtet der Autor den "Hyperion" in seiner literarischen,  zeitgeschichtlichen und  philosophischen Bedeutung als ein  Gesamtkunstwerk, das den Werken seiner zeitgenössischen  Freunde  Hegel, Schelling, Fichte wie auch Goethe und Schiller in nichts nachsteht,  ja sie literarisch und philosophisch gar übertrifft.
Der dem dialogischen Kommentar nachgestellte Rückblick im dritten Teil  des Buches verdichtet  diese Einschätzung aus der Einführung. Die  Strukturanalyse des hölderlinschen Romans fordert  dem Leser einiges  ab, bietet zugleich aber auch die reflektierende Gesamtschau des zuvor  in Einzelschritten kommentierten Werkes.
Im Dreischritt von philosophisch-sprachwissenschaftlicher Einführung,  dialogischem Kommentar  und strukturanalytischem Rückblick gelingt es  Heinrichs, uns heutigen Lesern für die jetzt  notwendigen  gesellschaftlichen Aufbrüche den Hölderlin/Hyperion als inspirierenden  Mentor zur  Seite zu stellen. Die anhaltende Dynamik des über 200 Jahre  alten Romans ist heute höchst  aktuell, denn der "Schnee von gestern ist  die Überschwemmung von heute und morgen"  (Heinrichs).
Im Urteil Heinrichs ist Hölderlin mit seiner geforderten "Revolution der  Gesinnungen und  Vorstellungarten" gedanklich ein Zeitgenosse auch uns   Heutigen, die wir nicht allein eine neue  Demokratie-Architektur erbauen  wollen, sondern sie in einer Revolution aus Geist und Liebe  anstreben.
Wieder ist es ein dickes Buch, 600 Seiten geistige Vollwertkost legt  Johannes Heinrichs  diesmal vor. Für Bücherfresser etwa eine  Wochenlektüre. Dieses Buch aber lohnt mehr Zeit.
Für den ersten Lesegang nahm ich mir fünf Wochen Zeit und separierte  dieses Buch in meine  Sonderedition, aus der ich mir immer wieder eine  Tagesdosis Anregungen nehme.
Die beste Empfehlung für dieses Buch schreibt Hölderlin selbst als  Einleitung zu seinem Roman:
Ich verspräche gerne diesem Buche die Liebe der Deutschen. Aber ich  fürchte, die einen  werden es lesen, wie ein Compendium, und um das  fabula docet sich zu sehr bekümmern,  indeß die anderen gar zu leicht es  nehmen, und beede Theile verstehen es nicht.